Nicht nur der Kunde, auch der Bewerber ist König!

Das Thema Candidate Experience kommt so langsam in der Unternehmenslandschaft an. War das Thema noch vor zwei bis drei Jahren den Insidern in der Personaler-Szene vorbehalten, so gibt es mittlerweile immer mehr Fach-Artikel und hin und wieder auch Vorträge, die sich diesem neuen Thema widmen.

Von Tim Verhoeven

Worum geht es überhaupt bei Candidate Experience? Eigentlich ist die Theorie der Candidate Experience kein Neuland; kommt es doch aus dem klassischen Kunden-Management (Customer-Relationship-Management) – hier als Customer Experience etabliert. Während es jedoch im Customer Experience Management darum geht, sich stärker in (potenzielle) Kunden hinein zu versetzen, um dadurch das Kaufverhalten positiv zu beeinflussen – so geht es beim Candidate Experience Management darum, sich stärker in (potenzielle) Bewerber hinein zu versetzen, um dadurch das Bewerbungsverhalten positiv zu beeinflussen. Stark vereinfacht ausgedrückt heißt es „Unternehmen sollen Bewerber so behandeln, wie sie im Idealfall auch Kunden behandeln würden“.

Der Kund ist König, der Kandidat auch!

Während man dies im klassischen Produktmarketing schon seit vielen Jahren beherzigt und viel Zeit und Geld dafür ausgibt, mehr über die Bedürfnisse des Kunden zu erfahren, lag das Thema im Personalbereich lange Zeit brach. Zu prägend waren die Jahrzehnte, als Unternehmen sich noch problemlos zurücklehnen konnten, und auf jede Stelle hunderte gute Bewerbungen bekamen. Zu sehr war der Habitus des Arbeitgeber-Marktes noch tief in vielen Unternehmen verwurzelt.

Das ist nun anders – seit einigen Jahren ist ein starkes Wachstum in den unternehmensinternen Bereichen, die sich mit Personalbeschaffung beschäftigen, zu erkennen. Unternehmen stellen sich immer mehr auf den Bewerber-Markt ein und versuchen sich als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren. Dabei wird das Thema Candidate Experience in den nächsten Jahren eine tragende Rolle spielen.
Hier kurz zur Begriffsklärung:

Candidate Experience: Summe der bewussten oder unbewussten Wahrnehmung  eines Unternehmens als Arbeitgeber.
Candidate Experience Management: Systematische Steuerung der Candidate Experience an definierten Kontaktpunkten.

Dies bedeutet auch, dass Candidate Experience weit über die reine Betrachtung des Bewerbungsprozesses hinausgeht. Angefangen damit, dass der Bewerber eine Stelle auf einer Stellenbörse findet, bis hin zum Arbeitsbeginn bei diesem Arbeitgeber – alles hat Einfluss auf einen Bewerber.

Was bringt es Unternehmen, sich mit Candidate Experience zu beschäftigen?

Employer Branding, Social Media, Mobile Recruiting und jetzt auch noch Candidate Experience – warum sollte man sich als Arbeitgeber mit diesem Thema beschäftigen und welchen Mehrwert bringt das? Die Antwort: Bewerber werden an jedem Kontaktpunkt mit einem potenziellen Arbeitgeber beeinflusst. Dies wirkt sich entweder positiv, negativ oder neutral darauf aus, ob der Bewerber dort arbeiten möchte.

Je positiver die Summe der Wahrnehmungen eines Bewerbers mit einem Arbeitgeber ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Mensch sich bei diesem Unternehmen bewirbt oder sich innerhalb eines Bewerbungsprozesses für das Unternehmen entscheidet.

Candidate Experience Management

Je negativer die Summe der Wahrnehmungen eines Bewerbers mit einem Arbeitgeber ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Mensch sich bei diesem Unternehmen nicht bewirbt oder sich innerhalb eines Bewerbungsprozesses gegen das Unternehmen entscheidet.

Jede dieser Wahrnehmungen entsteht an einem Kontaktpunkt. Manche davon kann man aus Sicht des Candidate Experience Managements positiv beeinflussen und andere nicht. Eine positive Beeinflussung dieser Kontaktpunkte hat also folgende Ziele:

  • Erhöhung der Anzahl von Bewerbern
  • Minimierung der Anzahl von Aussteigern während des Bewerbungsprozesses

Wie kann man als Arbeitgeber die Candidate Experience messen?

Um ein aussagekräftiges Ergebnis zu bekommen, mit dem man als Arbeitgeber etwas anfangen kann, muss man die Wahrnehmung der Kontaktpunkte aus Sicht von (potenziellen) Bewerbern erfassen. Dabei sind drei Dinge zu betrachten:

  1. Ein permanenter Prozess: Man muss die Candidate Experience permanent messen, denn nur so schafft man eine Betrachtung über größere Zeiträume und dadurch eine höhere Aussagekraft, da man dadurch äußeren Störfaktoren besser erkennen kann. Weiterhin kann man auch nur dadurch erkennen, ob Optimierungsmaßnahmen permanent Früchte tragen.
  2. Selektion nach Kontaktpunkten: Bewerber haben an unterschiedliche Kontaktpunkte unterschiedliche Erwartungen. Gleichzeitig gibt es häufig keine komplett konsistente Kommunikation von Arbeitgebern über die verschiedenen Kontaktpunkte hinweg.  Deswegen muss jeder Kontaktpunkt separat betrachtet werden.
  3. Selektion nach Zielgruppen: Was sich beispielsweise für einen erfahrenen Mittdreißiger, der schon sehr viele Bewerbungsverfahren durchlaufen hat, positiv anfühlt, kann von einem 16 jährigen Bewerber um einen Ausbildungsplatz sehr negativ wahrgenommen werden.

Meiner Erfahrung nach – nachdem ich mich nun schon seit mehr als fünf Jahren mit dem Thema Candidate Experience in der Theorie und Praxis beschäftige – gibt es zwei Konstanten bei der Analyse der Candidate Experience die immer zutreffen:

  • Es gibt immer Optimierungspotenzial aus Bewerbersicht – man muss es nur finden (wollen).
  • Sehr viele Optimierungspotenziale kann man mit relativ wenig Aufwand beheben.

 

ZUR PERSON…
Tim Verhoeven blickt auf acht Jahre Erfahrung im Personalbereich in diversen Funktionen zurück . Aktuell ist er Personalleiter beim Modeunternehmen Elégance GmbH. Vor dieser Tätigkeit war er unter anderem bei Vodafone in verschiedenen Funktionen im Personalbereich tätig und hat danach bei einem mittelständischen Hidden Champion das Personalmarketing aufgebaut. Er ist der Autor von NochEinPersonalmarketingBlog und einer der ersten Experten für das Thema Candidate Experience. In diesem Themenfeld ist berät Herr Verhoeven auch Unternehmen, ihre Prozesse im Recruiting und Personalmarketing zu optimieren.