Ziele: Lohn für Leistung anderer
Die leistungsabhängige Vergütung ist auf dem Vormarsch. Der springende Punkt heisst Fairness. Denn viele Ziele, die zwischen Mitarbeiter und Chef vereinbart werden, spiegeln nicht dessen Leistung wider.
Eigentlich ist es nur logisch, dass zählbare Leistung extra honoriert werden sollte. Der Verkäufer, der in seinem Gebiet mehr Produkte als im Vorjahr an den Mann bringt, hat sich ebenso nachweislich ins Zeug gelegt wie der Call-Center-Mitarbeiter, dessen Telefonate mit Kunden überwiegend positives Feedback nach sich ziehen. Doch bei genauerer Betrachtung ergibt sich manche Tücke. Profitiert der Verkäufer nicht von Marketingmassnahmen, die in seinem Gebiet nun erstmals Früchte tragen? Und arbeitet der Telefonist nicht in einem Team, das hervorragend geführt wird und sich besser abstimmt als andere Teams?
Leistungsprämie für blosse Anwesenheit
Wie diese Fragen zeigen, ist das leistungsabhängige Entgelt von zahlreichen Faktoren abhängig. Viele davon kann der einzelne Mitarbeiter überhaupt nicht beeinflussen. Daher wäre es unsinnig, ihn für etwas zu belohnen, was nicht auf seinem Mist gewachsen ist. Zu dieser Erkenntnis kam auch Hermann Lessing, Investmentbanker eines Finanzinstituts in Zürich. Er warnt vor Vergütungssystemen, die am Reissbrett entstehen und nicht am einzelnen Mitarbeiter und seinem persönlichen Umfeld ausgerichtet seien. “Ich will weder eine Anerkennungsprämie fürs Dasein noch dafür bestraft werden, dass Kollegen in den USA schlechte Ergebnisse abliefern.”
Nur auf die persönlichen Ziele fixiert
Das sieht Cornelis Schmitt, Produktmanager einer Frankfurt Bank, genau umgekehrt. Für ihn sind Systeme, die sich etwa am Umsatz des Unternehmens orientieren und den Leistungsbeitrag aller Mitarbeiter widerspiegeln, den individuellen Zielvereinbarungen weit überlegen: Gerade Investmentbanker würden dazu neigen, sich nur ihren persönlich vereinbarten Zielen zuzuwenden und die Gesamtsicht auszublenden. Im Privatkundengeschäft ist man hingegen von Produktmanagern abhängig, die Angebote für die Kunden entwickeln. Und man müsse zudem Geschäftsverbindungen geduldig aufbauen. “Ich kann Kunden nur langfristig binden, wenn sie von der Qualität überzeugt sind.” Allerdings fügt Schmitt selbstkritisch hinzu: “Bei diesem System besteht die Gefahr, dass Gelder nach Gefühl und Vorlieben verteilt werden.”
Auf ihre Erfahrungen mit Zielvereinbarungen ist auch Sandra Bauer, Gruppenleiterin eines englischen Mobilfunkunternehmens, nicht gut zu sprechen. Sie hätte überhaupt keine Chance gehabt, persönliche Ziele zu verfolgen, weil “unerreichbare Planvorgaben gnadenlos von oben nach unten durchgedrückt” wurden. Ohne jegliche Begründung landeten ein oder zwei Gehälter auf dem Konto, manchmal auch keins. Der Ärger der Mitarbeiter zwang die Firma zu handeln. Inzwischen würden Abteilungs-, Bereichs- und Projektziele aufeinander abgestimmt, um grösstmögliche Fairness zu ermöglichen, räumt Bauer ein.
MVV Energie mit neuer Leistungsvergütung
Der persönliche Einsatz soll durch leistungsabhängige Vergütungssysteme gerecht honoriert werden, keine Frage. Aber welchen Anteil daran das Team, die Abteilung oder gar das gesamte Unternehmen nehmen, muss ebenso transparent und fair in die Beurteilung einfliessen. Bei der MVV Energie AG in Mannheim hat man lange über ein neues Verfahren nachgedacht, das breite Akzeptanz verspricht. Eine zentrale Rolle komme der Kommunikation zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern zu. Alle Mitarbeiter würden von ihren Vorgesetzten nach einem für alle identischen System beurteilt: der “Leistungsorientierten Erfolgsbeteilung LoEb”.
Dazu wurde ein Beurteilungsbogen entwickelt, der Pflicht- und Wahlkriterien enthält und durch den Vorgesetzen ausgewertet wird. Pflichtkriterien sind etwa “Verwertbarkeit der Arbeitsergebnisse”, “Arbeitseinsatz und Arbeitseffizienz” sowie “Führungsverhalten” (nur für Führungskräfte). Aus den Wahlkriterien lassen sich individuelle Anforderungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter vereinbaren, wie Kommunikationsverhalten, unternehmerisches Handeln oder Projekt Customer Relationship Management.
Abwesenheit kostet Geld
Die Bewertung der Kriterien erfolgt auf einer Skala von Null Prozent (Leistung entspricht nicht den Anforderungen) bis 150 Prozent (Leistung übertrifft die Erwartungen deutlich). Zudem sind alle Kriterien gewichtet. Aus den Bewertungen und den Gewichtungen der einzelnen Kriterien ergibt sich ein Erfüllungsgrad für jeden einzelnen Mitarbeiter. Dieser sollte bei einem durchschnittlich guten Mitarbeiter bei 100 Prozent liegen. Aus dem Erfüllungsgrad errechnet sich die Geldsumme an, die an jeden Mitarbeiter verteilt wird. Hier fliesst auch die geleistete Arbeitszeit ein. Wer länger abwesend war, kommt schlechter weg. Zu Beginn eines Geschäftsjahres träfe sich Vorgesetzter und Mitarbeiter zu Orientierungs- und zum Ende zu Feedbackgesprächen, um Leistung nachvollziehbar und fair zu bewerten, erklärt Thorsten Echterhof, Leiter Competence-Center HR.
Gleiche Wertungskriterien für Vorstand und Hausmeister
“Das neue Vergütungssystem stellt Gerechtigkeit zwischen tariflichen wie übertariflichen Mitarbeitern her”, so Echterhof. Die Kriterien, warum eine Vergütung ausgeschüttet werde, “sind für Vorstand und Hausmeister gleich.” Unter dem Dach der “Leistungsorientierten Erfolgsbeteilung LoEb” wurden zwei unterschiedliche Systeme für tarifliche und aussertarifliche Mitarbeiter zusammengeführt. Auf LoEb ruhen grosse Hoffnungen. Die Botschaft lautet: Wir honorieren Erfolg, der durch höhere Motivation der Beschäftigten zustande kommt. Wichtig ist die Firmenkultur: Kommunizieren Mitarbeiter und Führungskräfte intensiv miteinander, können sie sich auch mehr für den gemeinsamen Erfolg engagieren.
Erfolgsfaktoren: Kommunikation und Fairness
Offene Kommunikation und Fairness, schliesst sich Christian Brück, Vergütungsberater der Dr. Dr. Heissmann GmbH in Wiesbaden, dieser Argumentation an, sei der Hebel für den Erfolg der Leistungsvergütung und die nötige Akzeptanz. Entscheidend ist, ob das Vergütungssystem die Leistungsanforderungen der Mitarbeiter abbildet. Diese fehlt, wenn sich der Betrieb für Teamarbeit engagiert, der erfolgsabhängige Anteil der Vergütung aber auf die individuelle Leistung des Mitarbeiters zurückgreift. Ebenso unausgegoren sind Systeme, die zur Beurteilung Mengenmassstäbe wie Umsatzziele vorgeben, es im Unternehmen aber auf die Qualität einer Leistung ankommt.
Daher haben die Vorgesetzten einen grossen Anteil am Erfolg der Leistungsvereinbarung. Zum Beispiel ob sie zusammen mit den Mitarbeitern Teamziele oder individuelle Ziele festlegen und diese bei Bedarf fair anpassen, wenn die Zielerreichung durch Dritte gefährdet ist. “Gute Führungskräfte”, sagt Brück, seien offen und ehrlich gegenüber ihren Mitarbeitern und klar in der Leistungserwartung. “Sie räumen ihren Mitarbeitern ein, Ideen einzubringen, um die leistungsbezogene Vergütung reell und fair zu realisieren.” Herrschen solche Bedingungen vor, das zeigt eine Umfrage von Towers Perrin unter Mitarbeitern von europäischen Firmen, neigen viele Fach- und Führungskräfte dazu, sich längerfristig an ein Unternehmen zu binden.
Ziele laufend überprüfen
Der Rüsselsheimer Change-Berater Günter Gütlich kreidet den Verantwortlichen noch ein weiteres Manko an: “Lege ich Zielvereinbarungen fest, versäume aber die Ziele laufend zu überprüfen, etwa weil sich Strategien geändert haben, investiere ich als Unternehmen ins Blinde.” Dies möchte Achim Brennecke, Marketingleiter der Phönix Contact GmbH & Co. KG in Blomberg, unbedingt verhindern. Bis zu viermal trifft er sich deshalb mit seinen Mitarbeitern, um “reelle und nachvollziehbare Ziele über den Zeitraum von einem halben Jahr” zu vereinbaren. Die Gefahr, dass Einzelne nur noch persönliche Ziele verfolgen und sich zu Lasten des Teams profilieren würden, sieht Bennecke nicht. “Als Führungskraft muss ich darauf einwirken, dass dieser Effekt nicht eintritt.”
(Winfried Gertz, 2007/ Bild: Macroman, Fotolia.com)