Mitarbeiter in die Wüste schicken

Eigentlich sagt der Begriff “Outdoortraining” doch schon alles: Das Lernen findet nicht “on the job” statt und auch nicht im Seminarraum, sondern draußen in der freien Natur. Nicht mehr und auch nicht weniger? Doch, denn mit Outdoortrainings verbinden sich durchaus unterschiedliche Lernmethoden. Bei Outdoortrainings geht es um die Entwicklung der fachübergreifenden Kompetenzen.

Damit diese so genannten Soft Skills für Unternehmen nutzbar werden können, folgt dem Kompetenzerwerb die Einübung des entsprechenden Verhaltens. Danach kommt der Transfer in den Berufsalltag. Auch wenn die Teilnehmer nachher wissen, wie man das Seil zum Abseilen durch den Achter schlingt: Für die Vermittlung fachlicher Inhalte sind Outdoortrainings nicht prädestiniert.

Am Anfang stand das Überleben

Die ersten Outdoortrainings im Kontext betrieblicher Weiterbildung richteten sich vor allem an Führungskräfte. Als erster Europäer übertrug der Deutsche Gunther Wolf dieses Konzept zu Anfang der 80er Jahre aus dem amerikanischen Raum auf unseren Kontinent und die hiesige Mentalität. Seine erfolgreichen Outdoortrainings überzeugten zunächst niederländische, später auch deutsche Personalentwickler.

Hier entstanden medienwirksame Fotos: Gestandene Manager mitten in der Wildnis, den im Karriereverlauf mühsam erworbenen Statussymbolen enthoben, mit ausgebeulten Rucksäcken auf den geschundenen Rücken, in mitgenommen wirkendem Overall und ebensolchem Gesichtsausdruck. “Survival” heißt die treffende Bezeichnung dieser Art von Outdoortraining.

Häufig als offene Trainings durchgeführt, stehen in Survivals vor allem intrapersonelle Lernziele im Fokus: Entscheidungskompetenz, Risikokompetenz, Flexibilität, Problemlösekompetenz, Selbstmotivierungsvermögen, Ausdauer, Beharrlichkeit sowie vorausschauendes Denken und Handeln.

Wie wild erlebnisorientiert lernen

Die stark abgemilderte Form dieses Typs wird als “Wilderness Experience” oder Expedition bezeichnet. Hier bewegt sich der Trupp einige Tage durch die Wildnis, einzelne Survival-Elemente werden integriert. Beim Lübecker Drägerwerk sah man 1986 für die Führungskräfte aller Ebenen, vom Gruppenführer bis zum Vorstand, die einmalige Teilnahme an einem Wilderness Experience Outdoortraining in Skandinavien vor.

Allen Arten von Outdoortraining ist gemeinsam, dass die Natur als Lehrmeister gesehen wird. Nicht der Trainer gibt den Teilnehmern die Aufgaben, sondern die Natur. Ihre Aufgaben sind echt, authentisch und unausweichlich: Wetterumschwünge, einbrechende Dunkelheit, anschwellende Flüsse oder unpassierbare Wege. Sie ist kaum planbar, sie folgt keiner Agenda – und gerade das ist der Reiz dieser Outdoortrainingsformen.

Hose nass Zusammenarbeit trocken

Auch das Resultat des eigenen Verhaltens wird, anders als in konventionellen Lernmethoden, nicht vom Trainer beobachtet und beurteilt. Wenn die Teilnehmer ihre Kleidung abends am Lagerfeuer trocknen müssen, hat die Natur ein unmissverständliches Feedback gegeben: Die Kooperation der Gruppe beim Projekt Floßbau ist scheinbar nicht ganz optimal verlaufen.

Derartige Erfolge und Misserfolge sind für jeden eindeutig, transparent und nachvollziehbar. Gerade Misserfolge werden im Berufsalltag gern Umständen oder externen Einflüssen in die Schuhe geschoben. Hier sind sie, wie auch erfolgreich bewältigte Herausforderungen, direkt auf eigene Verhaltensweisen in der Gruppe zurückführen und eröffnen Perspektiven für die persönliche Weiterentwicklung.

Gute Trainer trainieren nicht

In expeditions- oder survivalorientierten Outdoortrainings nehmen die Trainer eher eine Moderatorenrolle ein. Sie lassen der Gruppe und den Teilnehmern die Möglichkeit zu eigenen Erfahrungen, begleiten und unterstützen sie aber bei ihrer Entwicklung. Dazu bedienen sich geschulte Outdoortrainer hochwertiger Fragen, die die Teilnehmer zum tieferen Nachdenken anregen. Da auch die Trainer nicht wissen, welche Aufgabe der Natur als nächstes einfällt, stellen solche Outdoortrainings hohe Anforderungen an die Flexibilität und das Know-how der Trainer.

Die Authentizität der Outdoortrainings betrifft auch die Teamprozesse. Alle eigenen Verhaltensweisen wirken sich direkt auf die persönliche Situation und die der Gruppe aus. In den 90er Jahren setzen sich die Outdoortrainings hierzulande mit sozialen und interpersonellen Lernzielen endgültig durch: Teamfähigkeit und Zusammenarbeit, Konflikt- und Kritikkompetenz, Rücksichtnahme und Empathie, Kultur- und Kontext-Kompetenz sowie umfassende Kommunikationskompetenzen.

Wie weit ist es bis zum nächsten Ort?

Die von der Natur gestellten Aufgaben können bei der Konzeption des Outdoortrainings durch die Wahl des Ortes, durch eine entsprechende Gestaltung der durchgeführten Aktivität und durch den Umfang der mitgebrachten Ausrüstung gesteuert werden. Ort, Aktivität, Ausrüstung – für diese drei Determinanten ist die Entfernung zu der Zivilisation ein maßgebliches Kriterium. Je stärker diese mit der Zivilisation verbunden sind, desto geringer wird der Einfluss der Natur auf das Outdoortraining und desto höher der Raum bei der Konzeption für das Einbringen von exakt auf die Lernzielen ausgerichteten Outdoor Modulen.

Zivilisationsnahe Outdoortrainings, die so genannten Residentials, haben einen harten Zeitablauf, feste Essenszeiten und weiche Betten. Sie dominieren seit Anfang dieses Jahrtausends die Szene; nahezu jedes Seminarhotel verfügt mittlerweile über einen angeschlossenen Seilgarten. Residentials sind durch hohe Effizienz gekennzeichnet.

Ein Hauch von Outdoor wirkt auch

Zudem stoßen die Trainings bei den Teilnehmern vor allem aufgrund der Zivilisationsnähe auf große Akzeptanz: Man ist zwar tagsüber viel draußen, doch das Essen muss weder selbst zubereitet, geschweige den selbst gepflückt oder gar selbst gefangen werden. Aufgrund der fehlenden Authentizität der Aufgaben und der Künstlichkeit der angelegten Seilgärten leidet indes die Effektivität dieser Outdoortrainings.

In vielen Residentials kommen vermehrt Outdoor-Module zum Einsatz. Diesen Outdoor-Varianten der Seminarspiele liegt eine von Trainer verkündete Aufgabe mit bestimmten Regeln zugrunde. Hiermit werden beispielsweise Elemente der Expeditionen nachgespielt, indem etwa ein zu überquerender Fluss durch zwei auf den Boden gelegte Seile markiert wird.

Wie bei dem Indoor-Pendant liegt bei echten Outdoor-Modulen der Schwerpunkt auf der Handlungsorientierung, die für ganzheitliches Erleben und tiefe Verankerung der neu erworbenen oder veränderten Verhaltensweisen sorgt. Anders als bei Expeditionen ist allerdings die Situation nur “ein Spiel” und mancher Teilnehmer daher wenig gewillt, echtes Verhalten zu zeigen, zu erlernen und einzuüben.

Auf den Transfer kommt es an

Auf den Transfer ist bei allen Formen der Outdoortrainings besonderes Augenmerk zu richten. Berufliche Alltagssituationen sind häufig viel komplexer als die auf bestimmte Lernziele zugespitzten Outdoor-Module der Residentials. Ein wichtiger Vorteil der Outdoortrainings ist das Eintreten in ein fremdes, ungewohntes Umfeld.

Das Lernfeld “Outdoor” trägt zum Lösen selbst von über Jahre verhärteten Verhaltensweisen bei und weckt die Neugier auf neue Erfahrungen. Wenn jedoch ein Urlaubsgefühl eintritt, wird der Transfer der erworbenen Kompetenzen und der neuen Verhaltensweisen in den Alltag nicht gelingen.

Sie wollen Ihre Vorgesetzten von einem Outdoor-Training überzeugen? Hier gibt es die Vorteile von Outdoortrainings auf einen Blick als pdf.

Gunther Wolf, Diplom-Ökonom und Diplom-Psychologe, ist Experte für Performance Management. Er ist seit 1984 als zertifizierter Management- und Strategieberater national und international tätig. Aufgrund seiner wegweisenden Innovationen ist Gunther Wolf gefragter Redner und Key Note Speaker. Er führte u.a. die ersten Outdoor Trainings für Führungskräfte in Deutschland durch, gilt als Erfinder der Kundenkarte und entwickelte das Modell der Zieloptimierung. Der vielfache Buchautor wurde 2013 für sein Buch “Mitarbeiterbindung – Strategie und Umsetzung im Unternehmen” mit dem Deutschen Managementbuchpreis ausgezeichnet.